Donnerstag, 7. Juni 2007

Links, rechts, oder vorwärts?




Da im Moment abgesehen vom G8-Gipfel nichts zu passieren scheint in der Welt und ich schon Beschwerden erhalten habe, daß ich so lange nichts mehr geschrieben hätte, möchte ich hier eine etwas allgemeinere Abhandlung zum Thema "Rechts und Links" einstellen.

Und ich will jetzt nicht hören "Rechts ist da, wo der Daumen links ist!"
Darum geht es doch nicht! Es geht hier um Politik. Das ist eine sehr ernste Sache, und darüber macht man keine Witze. Nein, wirklich nicht.
Bevor es richtig losgeht, möchte ich aber eine Frage in den Raum bzw. ins Netz stellen:

Ist die FDP links oder rechts der Union anzusiedeln?

Höre ich eine Antwort? Nein? Na gut, ich warte noch ein bißchen...

...

Falls Sie jetzt eine Antwort haben, stellen Sie die Frage doch bitte fünf beliebigen anderen Menschen aus ihrem Bekanntenkreis (oder noch besser: verweisen Sie sie auf diesen Blog), und vergleichen sie die Antworten mit Ihrer eigenen.
Falls Sie keine Antwort haben: Glückwunsch.

Wenn man nämlich ehrlich zu sich selbst ist - und das sollte man sein, schließlich ist Ehrlichkeit eine Tugend und wenn man schon nicht sich selbst vertrauen kann, wem dann sonst? - also wenn man das ist, dann kann man sich auf diese Frage eigentlich keine Antwort geben, jedenfalls keine eindeutige, und wenn eine Frage, die nur zwei verschiedene Antworten überhaupt zuläßt, nicht eindeutig beantwortet werden kann, dann sollten wir uns fragen, ob wir diese Frage überhaupt fragen sollten. Fragen über Fragen.

Zäumen wir das Ganze einmal andersherum auf. Stellen wir uns einmal vor, wir lebten in einem Dorf. Wenn Sie tatsächlich in einem Dorf leben, erleichtert das die Sache natürlich erheblich; wenn sie aber in der Stadt wohnen, stellen Sie sich einfach vor, sie lebten an einem Ort, an dem die Häuser kleiner, die Entfernungen größer und die Menschen sich paradoxerweise trotzdem näher sind.
Stellen wir uns jetzt einmal vor, in diesem Dorf solle eine neue Kirche gebaut werden, z.B. weil die alte eingestürzt ist. Nur kann man sich in unserem Dorfe nicht einigen, wie denn die neue Kirche auszusehen habe: Die einen meinen, da solle ein moderner Neubau hin, andere wollen, daß das Gotteshaus so aussieht wie das alte.
Da wir keine teilnahmslosen Menschen sind, haben auch wir eine Meinung, und zwar eine von den beiden. Egal, welche.

Und da der Mensch Begriffe für die Dinge braucht, mit denen er zu tun hat, und seien diese noch so abstrakt, benennen wir die beiden Lager natürlich auch noch. "Wiederaufbaubefürworter" und "Neubaubefürworter" sind nicht kernig genug. Wie nennen wir also die beiden Lager?

Und da kommt uns eine Idee... nein, eigentlich drängt sie sich geradezu auf. Wir nennen die beiden Lager einfach...

Rechts und Links!

Daß da noch niemand drauf gekommen ist! Der Bezug zum Thema ist doch... äh... sonnenklar, und wenn man seine Positionen in diesem tollen geometrischen Modell erst einmal formuliert hat, wird die ganze Welt einfacher.

Nein, über Politik macht man keine Witze, aber wenn die Politik sich selbst zur Komödie macht, kann ich da auch nichts für. Im Ernst: Wer kommt denn bitte auf die schwachsinnige Idee, sich und andere politisch in "rechts" und "links" einzuteilen?

Wir wissen natürlich, wo das herkommt. Das kommt daher, daß im 19. Jahrhundert, als es noch nicht allzuviele nennenswerte Richtungen oder Parteien im Parlament gab, sich die einen zufällig rechts und die anderen links hingesetzt haben... manche behaupten, daß habe in der Paulskirche angefangen, wieder andere sehen das Debut (das ja ohnehin ein Gallizismus ist) in der französischen Revolution, aber das tut nichts zur Sache. Und eigentlich könnte es uns die ganze Chose (wieder einer!) egal sein, wenn die Sache nicht noch einen Haken bzw. eine ganze Reihe davon hätte.

Das offensichtlichste Problem taucht da auf, wo noch weitere Fraktionen die Bühne betreten. Z.B. könnten dann die sich zu Wort melden, die überhaupt keine neue Kirche im Dorf wollen, auf die man dann immer aufpassen muß, daß sie auch jeder da läßt.
Sind die jetzt links oder sind sie rechts? Das kommt natürlich darauf an, wo man sich selber sieht, und je nachdem, wo das dann ist, befindet sich diese von allen ungeliebte Partei im Dorf dann entweder in der "extremen Linken" oder der "extremen Rechten".

Da aber links und rechts natürlich entgegengerichtet sind, wird sich irgendwann eine der beiden Bezeichnungen einbürgern. Sagen wir: "rechts". das ist dann natürlich ein gefundenes Fressen für uns, wenn wir der linken Seite des 1-dimensionalen Meinungsraumes angehören. Denn dann sind die anderen mit diesen Emporkömmlingen, gegen deren extreme Haltung ein Konsens besteht (denn "extrem" kann schon nicht gut sein!), ja irgendwie verwandt. Also muß die andere Partei, will sie nicht aufgrund ihrer offensichtlichen Nähe zum "Rechtsextremismus" in Verruf geraten, sich immer weiter nach "links" bewegen.

Und dann kommt das nächste Splittergrüppchen an und verkündet, daß von nun an nicht etwa eine Kirche, sondern eine Moschee das Dorf zieren solle. Die wollen also keine neue und keine alte Kirche, aber bauen wollen sie ja etwas, also sind sie wohl "linksextrem", denn viel haben wir ja nicht mehr übrig.
Jetzt geht das Spiel natürlich von vorne los. Auf einmal muß sich die "Linkspartei(.PDS?)" nach "rechts" bewegen, um politisch lebensfähig zu bleiben.

Was ist eigentlich aus unserer Kirchendiskussion geworden? Richtig, die gab es ja auch noch!
Aber am Ende wird wohl nichts dabei herumkommen. Vielleicht bauen wir eine Kirche, die halb alt und halb neu und entsprechend dieser chimärenhaften Konstruktion vermutlich potthäßlich ist - hurra! - aber das ist schon der beste Fall. Im schlimmsten (=wahrscheinlichsten) Falle passiert überhaupt nichts.

Hiermit möchten wir unser Gedankenexperiment beenden. Wir kommen also zurück ins Deutschland des beginnenden 21. Jahrhunderts. Und was sehen wir da? Ein völlig ungeeignetes, weil viel zu grobes Modell zur Kategorisierung politischer Ansichten wird munter in Medien, im Alltag und auch von den Politikern selbst benutzt, um sich selbst gegen andere zu profilieren. Der Tatsache, daß man z.B. die Nationalsozialisten mehr oder weniger willkürlich ins "rechte" Spektrum gelegt hat, bewirkt nichts anderes als eine Diskreditierung vormals "rechter" Ansichten. Aufgrund unserer extremen Erfahrung mit den Nazis erfährt die "linke" Seite bei uns allerdings keine auch nur annähernd so starke Abwertung, obwohl Szenen, wie wir sie rund um den G8-Gipfel erleben durften und dürfen, das allemal rechtfertigen würden.

Kurz: Nazis sind böse, Nazis sind "rechts", also ist "rechts" böse; deswegen muß (logischerweise!) "links" gut sein. Oder doch lieber die Mitte - was auch immer das schon wieder sein soll.

Aber da hören die Übel dieser Geometrisierung der Politik noch nicht auf. Denn sie liefert nicht bloß Munition für die tägliche Schlammschlacht, die hierzulande eine Diskussion ersetzen soll, sondern verschleiert auch die tieferen Zusammenhänge. Zum Beispiel die Nähe von "Links"- und "Rechts"-Extremismus. Nicht umsonst nannte Hitler seine Bewegung den Nationalsozialismus und verwendete diese auch das gleiche Vokabular, um ihre Feinde zu brandmarken: So waren Systemkritiker im Dritten Reich - Monarchisten wie Republikaner - "Reaktionäre", welche das Volk um die "Errungenschaften der Revolution" bringen wollten. Der Nationalsozialismus war bzw. ist - ebenso wie der Sozialismus - eine egalitäre Bewegung, die auf die Nivellierung des Individuums zu einer amorphen Masse abzielt.

Wilhelm II., dessen eigene "rechte" Herrschaft durch den "linken" Umsturz 1918 beendet worden war, hat dies richtig erkannt:

"Die Nazis sind eine sozialistische Partei, die sich zum Bauernfang den Mantel Friedrichs des Großen umgehängt hat, worauf auch prompt alle hereingefallen sind."

Fallen wir auf solche Verkleidungen nicht herein, sondern betrachten wir lieber die nackten Tatsachen. Eine neue Sachlichkeit muß in die Politik und in unsere Gesellschaft einkehren. Nicht im Sinne fehlender Emotionalität - das will ich damit keinesfalls gefordert haben - sondern im eigentlichen, wörtlichen Sinne, also eine Sachbezogenheit in der Debatte. Nennen wir die Dinge beim Namen. Machen wir uns z.B. klar, daß wir Rassisten nicht deshalb ablehnen, weil sie angeblich "rechts" sind, sondern weil wir Rassismus für unvernünftig und menschenunwürdig halten.

So kommen wir meines Erachtens alle weiter, als durch billige Polemik, denn die kommt nicht umsonst vom griechischen Wort für "Krieg".

3 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Herrlich!

Unknown hat gesagt…

Ein schöner Beitrag, der die "Links-Rechts"-Problematik und ihre Absurdität in unserer heutigen Zeit sehr gut verdeutlicht!

Anonym hat gesagt…

Ein sehr guter Beitrag!