Freitag, 1. Juni 2007

Von Dichterfürsten und Schaumküssen




Wieder möchte ich eine Meldung der Tagesschau-Seite kommentieren, und zwar "Nordkorea zensiert deutsche Zeitschriften".

Für diejenigen, die den Artikel nicht in seiner Gänze lesen möchten: In Pjöngjang, der nordkoreanischen Hauptstadt, existiert eine Zweigstelle des Goethe-Instituts; im dortigen Lesesaal sind bzw. waren bis vor kurzem deutsche Zeitungen der einheimischen Bevölkerung frei zugänglich - unzensiert, versteht sich, und durch einen Vertrag mit der Regierung abgesichert. Aus sehr durchschaubaren Motiven hat die nordkoreanische Seite unilateral beschlossen, daß das so nicht mehr weitergehen könne, und die Zeitschriften entfernen lassen.

Man muß natürlich konstatieren, daß diese Aktion nur geringe praktische Auswirkungen hat. Es ist ja keineswegs so, daß halb Pjöngjang der deutschen Sprache mächtig wäre und täglich besagten Lesesaal aufsuchte, um sich die neuesten Informationen aus dem "freien Westen" zu holen. Tatsächlich leben in ganz Nordkorea, glaubt man den Angaben der Tagesschau, nur etwa 1000 Menschen, die unsere Sprache sprechen.
Und doch: Manchmal haben auch kleine Einflüsse eine große Auswirkung, und ich komme nicht umhin zu sagen, daß mich die Tatsache, daß das Goethe-Institut, gewissermaßen ja so etwas wie der kulturelle Außendienst unserer Nation, inmitten der Hauptstadt einer linksfaschistischen Diktatur (hallo Antifa!) so etwas wie ein begehbares Bollwerk, eine Missionsstation des ungeknebelten Wortes ist oder sein soll, mit Stolz erfüllt. Und daß die Nordkoreaner unsere Zunge so gewissermaßen als "Sprache der Freiheit" kennenlernen, ein Titel, den das Englische ja so gern für sich in Anspruch nimmt, kommt noch hinzu.

Doch spätestens hier sollten wir nachdenklich werden, und wenn wir etwas nachgedacht haben, sollten wir in den Spiegel schauen - den an der Wand und vielleicht auch den, den es am Kiosk gibt - und dann sollten wir ihn befragen, ob das mit der "Sprache der Freiheit" so seine Richtigkeit hat. Natürlich können Spiegel nicht sprechen, weder aus Glas noch aus Metall noch aus Papier, und das brauchen sie auch gar nicht, denn die Antwort gibt uns das verdutzte Gesicht, das uns aus ihm entgegenblickt, selbst.

Und worauf will ich hinaus? Auf unsere Sprache und wie wir mit ihr umgehen. Darüber kann man viel schreiben und hinterher kann man sich, wenn man dabei ehrlich war, eine Perücke aufsetzen, aber hier soll es um die Sache mit der Freiheit und mit der Zensur gehen.

Wieso? Wir haben doch Redefreiheit, freie Presse etc. pp., steht alles im Grundgesetz - was will der Mann eigentlich?

Natürlich sichert uns das Gesetz die Freiheit der Rede zu, und unsere Situation läßt sich mit der von Bürgern Nordkoreas nicht vergleichen, aber das sollte wohl auch nicht unser Maßstab sein. Fragen wir uns stattdessen: "Wie frei sind wir, ist unser Wort?" und "Wie frei wollen wir, soll unser Wort sein?" und beurteilen die Lage der Nation von diesem Standpunkte aus.

Tun wir das nämlich, so werden wir feststellen, daß wir gar nicht so frei sind, wie wir glauben, zu sagen, was wir wollen bzw. was wir meinen. Die Redefreiheit ist uns zwar gesetzlich zugesichert, aber solche Gesetze schützen uns freilich nur vor der staatlichen Einschränkung derselben, und dann auch nur soweit, wie nicht andere Gesetze damit kollidieren.
Was aber ist mit der nichtstaatlichen Zensur? Sowas gibt's? Ja, das heißt nur nicht so. Das heißt political correctness oder auch "politische Korrektheit" und ist einer der US-Exportschlager, wobei dieses Konzept hier in Deutschland auf besonders fruchtbaren Boden gefallen ist - aus offensichtlichen Gründen.

Diese Sache mit der "PC" ist sehr schwammig definiert, aber im Großen und Ganzen läßt es sich auf einen einfachen Nenner bringen: Begriffe, denen man mit mehr oder weniger überzeugender Argumentation eine negative Konnotation zuspricht, kommen auf eine Art ungeschriebene schwarze Liste, in eine Art vollverglasten verbalen Giftschrank. Dort hinein fällt der Blick des freien Menschen, unentwegt, und hin und wieder blitz es darin auf, vibriert es, weil ein Wort sich bei dem Gedanken, den er gefaßt hat, nicht mehr einkriegt vor Resonanz, und dann, manchmal, wird der Schlüssel umgedreht.

Und das war's dann.

Schon steht das Wort in der Zeitung und es muß allerhand über sich ergehen lassen: Es wird erbarmungslos aus dem Kontext gerissen, in den es sich gekleidet hatte, und so nackt vor allen Leuten muß es sich natürlich schämen, und schwindelig ist ihm auch von der ganzen Herumgedrehtwerderei - also wankt es wieder in sein Schränkchen und kauert sich in eine Ecke, daß es auch ja nie wieder herausmüsse.

Negerkuß!

So habe ich die süßen Dinger seit meiner Kindheit genannt und noch heute nenne ich sie so. Das Wort vermittelt mir - und ich möchte behaupten, den meisten anderen halbwegs vernünftigen Menschen auch - zwei Gedanken: "schwarz" und "lecker".

Aber einige Menschen haben Angst, daß dieses Wort mir aus irgendeinem für mich nicht nachvollziehbaren Grunde auch "Afrikaner sind doof" oder "Schwarze bestehen aus Schaumzucker und Schokolade" vermitteln könnte, und daher kommt es raus aus dem Süßwarenregal und rein in besagtes Giftschränkchen. Stattdessen heißt es jetzt "Schaumkuß", naja. Manche Leute, auch solche, die in dafür zuständigen Fabriken arbeiten, wie ich im Fernsehen einmal erleben durfte, setzen dem noch die sprachliche Krone auf und dieses so gekrönte Wort ist dann "Schaumzucker". Und daß das eigentlich die Bezeichnung für die Füllung des Produktes und darüberhinaus nicht abzählbar ist, interessiert auch niemanden - Hauptsache, niemand hat auch nur den geringsten Anlaß, sich stellvertretend für andere zu entrüsten.

Schweigen wir nicht gegenüber Staaten wie Nordkorea, kehren wir aber doch bitte gleichzeitig auch vor der eigenen Haustür.

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