Dienstag, 29. Mai 2007

Der Fall Konstantinopels



Heute vor 554 Jahren, am 29. Mai 1453, fiel Konstantinopel an die Türken unter Mehmed II.
Windthorst
hat dazu bereits einen Post geschrieben, der sich hauptsächlich mit dem letzten Kaiser des Oströmischen Reiches befaßt. Ich hingegen möchte an dieser Stelle eine Einordnung in den historischen Kontext versuchen, und welche Rolle dieses Ereignis für uns heute spielt.

Entgegen landläufiger Meinung ist das Römische Reich nicht im 5. Jahrhundert untergegangen. Der östliche, mehr griechisch als lateinisch geprägte Teil überlebte und schaffte es sogar kurzzeitig, einen Großteil der verlorenen Gebiete (v.a. Italien) zurückzuerobern. Mit der Kirchenspaltung von 1054 - die mehr politisch als theologisch motiviert war - war das Reich vom lateinisch-katholischen Rest Europas abgetrennt. Die islamische Expansion hatte ihm bereits zuvor viele wirtschaftlich wie auch kulturell bedeutende Gebiete, vor allem Ägypten, entrissen. Als die Muslime auch Palästina erobert hatten, wurde Rom hellhörig, und so nahmen die Kreuzzüge ihren Lauf. Ironischerweise war es einer dieser Kreuzzüge, in dessen Verlauf die westlichen Ritter Konstantinopel plünderten. Dies ist übrigens die Wurzel der Abneigung, die dem Katholizismus noch heute im orthodoxen Raum entgegenschlägt. Erst durch diese Plünderung nämlich sank Ostrom auf den Status einer Regionalmacht herab, bis es schließlich nicht mehr in der Lage war, seine Bollwerkfunktion für Europa einzunehmen. Erst hierdurch war es den Türken möglich, den Balkan zu erobern und schlußendlich bis vor die Tore Wiens vorzudringen.
Die Osmanen aber konsolidierten ihre neugewonnene Macht weise: Anstatt die oströmische Kultur vollständig zu zerschlagen, machten sie Konstantinopel zu ihrer neuen Hauptstadt und übernahmen einen Großteil des Beamtenapparates. Wäre nicht das Christentum hier dem Islam gewichen, könnte man fast von einer translatio imperii sprechen.
Was die osmanischen Sultane nicht getan hatten, vollbrachte die nach dem Ersten Weltkrieg ausgerufene, nationalistisch orientierte türkische Republik in wenigen Jahren: Der noch immer bedeutende Anteil griechisch-orthodoxer Bevölkerung in Konstantinopel wurde - wie auch die Griechen, die seit der frühen Antike an der Küste Kleinasiens gesiedelt hatten, Jahrtausende, bevor der erste Türke seinen Fuß auf das Gebiet der heutigen Türkei gesetzt hatte - kurzerhand vertrieben, und aus Konstantinopel wurde Istanbul.

Welche Rolle spielt das alles für uns heute?
Das Oströmische Reich (ich vermeide bewußt die Bezeichung "byzantinisch", weil sie anachronistisch ist) konservierte ein Jahrtausend lang unschätzbares Wissen aus der Antike, das im Westen verlorengegangen war. Die aus Konstantinopel vor den Türken flüchtenden Oströmer begeisterten die europäischen Intellektuellen für die Sprache und Kultur der alten Griechen, was einer der Auslöser der Renaissance war und damit das Ende des Mittelalters einleitete, weswegen das Jahr 1453 auch gern als Epochenmarke angegeben wird.
Auf der anderen Seite ist die Einnahme Konstantinopels auch einer der Hauptgründe, warum wir heute über den EU-Beitritt der Türkei diskutieren: Weil Konstantinopel ureuropäisches Gebiet ist und es merkwürdig anmutet, daß es nicht dazugehören soll.

Am 29. Mai 1453 fiel Konstantinopel - das von dort beherrschte Reich hatte in einzigartiger Weise das in sich vereint, was wir heute als Fundament Europas sehen: Die christliche Religion, die griechische Kultur und das römische Staatswesen. Wenn wir heute des Untergangs dieser uns fremden und doch merkwürdig vertrauten europäischen Teilzivilisation gedenken, dann geschieht das mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Wir betrauern den Verlust Ostroms in dem steten Bewußtsein, daß es in Europa weiterlebt, so wie z.B. auch in Deutschland Preußen weiterlebt.

3 Kommentare:

Ludwig Windthorst hat gesagt…

Danke für diesen Kommentar, der wirklich sehr gut die zeitlose Bedeutung des östlichen Kaiserreiches zum Ausdruck bringt. Europa atmet eben mit zwei Lungenflügeln.

Nur zwei Fragen noch:
War es nicht der 29. Mai 1453?
Und: Wieso ist die Bezeichnung Byzanz anachronistisch?

Lycidas hat gesagt…

Die antike präkonstantinische Bezeichnung "Byzanz" für die Stadt Konstantinopel ist nicht das Problem, sondern die Bezeichnung "Byzantinisches Reich" für den Staat. Diese stammt aus dem 19. Jahrhundert.

Lycidas hat gesagt…

... und es war natürlich 1453. Danke.